Zu: Politik versagt, Bürger werden bestraft, SZ. 25.1.2019

Nicht „die Politik“ hat versagt

Jürgen Haar spricht mir aus dem Herzen: „ÖPNV macht wenig Freude“. Das „System ist zu teuer und die Taktzeiten nicht besonders attraktiv.“ „Bahn und Buse sind heute schon zu Hauptverkehrszeiten überlastet“.

Und dann kommt der Befund mit dem ich nicht übereinstimme: „Auch beim Thema Mobilität zeigt sich das Versagen der Politik.“  Ich stimme nicht überein, weil hier eine Unschärfe reinkommt, die die Akteure, die die die Verkehrspolitik der letzten Jahrzehnte zu verantworten haben, deren „Früchte“ wir heute ernten, aus der Verantwortung nimmt. Nicht die „Politik“ an sich hat versagt, sondern die Politiker derjenigen Parteien, die das politische Sagen hatten. An zwei Beispielen will ich erläutern, was ich meine. Die Einführung der Grenzwerte zur Luftreinhaltung wurde von der EU-Kommission 1998 mit ausdrücklicher Zustimmung der CDU-Bundesregierung dem Europaparlament vorgelegt. In diesem Parlament hätten diese Grenzwerte nicht gegen die politische Mehrheit der Konservativen (CDU und ihrer Schwesterparteien)  beschlossen werden können. Hierbei hat man jedoch keinerlei Sanktionsmechanismen gegen die Automobilhersteller vorgesehen, wenn ihre Autos diese Grenzwerte nicht einhalten. Das heißt, die CDU ist politisch verantwortlich für eine Rechtslage, die es der vom Toyota-Konzern gesponserten Deutschen Umwelthilfe überhaupt ermöglicht mit Hilfe der Gerichte, die dieses Recht anzuwenden haben,  Fahrverbote durchzusetzen. Die Leitragenden der Fahrverbote sind viele Menschen, die sich von ihren Einkommensverhältnissen nicht leisten können, ein neues Auto zu kaufen und die sich dadurch zu Recht enteignet fühlen. Man hätte in die Gesetze reinschreiben können, wie es die Minderheitsparteien (Linke, Sozialdemoraten und Grüne)  gefordert hatten, dass Autokonzerne, die Autos herstellen, die dazu beitragen diese Grenzwerte zu überschreiten, verpflichtet werden auf ihre Kosten die Fahrzeuge umweltfreundlich nachzurüsten. Warum erfolgte es nicht? Eine mögliche Erklärung: Wie man dem Rechenschaftsbericht der CDU entnehmen kann, wird diese Partei von Autokonzernen gesponsert und man beißt ungern in die Hand, die einen füttert.

Zweites Beispiel: Der Zustand des ÖPNV in der Region Stuttgart. Diesen hat Jürgen Haar als zu teuer und nicht attraktiv beschrieben. Wer ist für diesen Umstand verantwortlich? Für den Verkehr in der Region gibt es die Zuständigkeit der Regionalversammlung mit einer überwältigenden Mehrheit aus CDU, Freie Wähler,SPD und FDP. Diese Gruppierungen haben es unterlassen oder verhindert, dass der ÖPNV als eine attraktive Alternative zur den von PKW verstopften Straßen aufgebaut wird. Ich hatte mich als Abgeordneter immer gegen Fahrverbote ausgesprochen, weil ich der Meinung bin, dass Angebote da sein müssen, bevor man über Verbote diskutiert. Für Fahrverbote und die fehlenden Angebote gibt es eine politische Adresse.                                                                                                                                                                                                                                           

 

Richard Pitterle (Stadtrat in Sindelfingen)